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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 6 A 2591/04
Rechtsgebiete: FHVOPol
Vorschriften:
FHVOPol § 7 Abs. 2 Satz 2 |
2. Ein Anspruch auf zusätzliche, vom Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht vorgesehene Leistungen zur Beseitigung oder Verringerung in der sozialen Wirklichkeit bestehender faktischer Ungleichheiten, die auf mangelnden Möglichkeiten der Kinderbetreuung beruhen, lässt sich aus der Richtlinie 79/7/EWG nicht herleiten.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Polizeibeamtin im Dienst des beklagten Landes und begehrt Leistungen der freien Heilfürsorge der Polizei für eine Mutter-Kind-Kur. Sie ist alleinerziehende Mutter eines im Zeitpunkt der Antragstellung fünfjährigen Kindes. Das beklagte Land lehnte den Antrag auf Gewährung einer Mutter-Kind-Kur mit der Begründung ab, nach § 7 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die freie Heilfürsorge der Polizei seien Mutter-Kind-Maßnahmen vom Leistungsumfang ausgeschlossen. Die Klage vor dem VG hatte keinen Erfolg. Den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung lehnte das OVG ab.
Gründe:
Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ergeben sich keine Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Nach Auffassung des VG verstößt die streitentscheidende Norm des § 7 Abs. 2 Satz 2, FHVOPol nicht gegen Art. 4 Abs. 1 erster Spiegelstrich der Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der sozialen Sicherheit vom 19.12.1978 (Richtlinie 79/7/EWG). Eine mittelbare Diskriminierung von alleinerziehenden Müttern, die keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder während einer erforderlichen Kurmaßnahme hätten, sei infolge des Ausschlusses von Mutter-Kind-Kuren nicht anzunehmen. Denn der Ausschluss sei mit Blick auf den Zweck, die Polizeidienstfähigkeit der aktiven Polizeivollzugsdienstkräfte zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen, gerechtfertigt.
Die Klägerin macht zur Begründung ihres Zulassungsantrags geltend, eine mittelbare Diskriminierung durch den Ausschluss von Mutter-Kind-Kuren folge daraus, dass - insbesondere alleinerziehende - Mütter wegen fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten für die Dauer des Kuraufenthaltes keine Möglichkeit hätten, eine Kurmaßnahme durchzuführen. Diese Diskriminierung könne nicht allein mit dem Zweck der freien Heilfürsorge gerechtfertigt werden, weil auch Müttern grundsätzlich die Möglichkeit gegeben werden müsse, ihre Gesundheit zu erhalten beziehungsweise die Dienstfähigkeit wiederherzustellen.
Diese mit dem Zulassungsvorbringen erhobenen Bedenken greifen im Ergebnis nicht durch. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung den Fortfall jeglicher unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:
- den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,
- die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,
- die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.
Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.
Vgl. dazu EuGH, Urteile vom 6.4.2000 - C-226/98, Jorgensen Slg. 2000, S. I-02447, Rdnr. 29, vom 23.10.2003 - C-4/02 -, Schönheit Slg. 2003, S. I-12575 und vom 3.10.2006 - C-17/05 -, Cadman; Coen, in: Lenz, Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften in der durch den Amsterdamer Vertrag geänderten Fassung, 2. Aufl. 1999, Art. 141 EGV, Rdnr. 19.
Die Diskriminierung muss damit ein Ergebnis der Anwendung eines dem Anschein nach neutralen Kriteriums sein, die mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts betrifft.
Vgl. Coen, a.a.O., Art. 141 EGV, Rdnr. 19.
Für die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung bedarf es demnach einer, wenn auch nicht ausdrücklich an die Geschlechterzugehörigkeit anknüpfenden, so aber doch sonstwie differenzierenden Regelung oder Maßnahme.
Vgl. dazu auch Eichenhofer, in: Streinz, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Kommentar, München 2003, Art. 141 EGV, Rdnr. 18; Krebber, in: Callies/Ruffert, Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl. 2002, Art. 141 EGV, Rdnr. 45.
Eine Ungleichbehandlung kann folglich nur dann gegeben sein, wenn überhaupt eine (normative) Differenzierung stattfindet und diese einen Personenkreis, der erheblich mehr Frauen als Männer erfasst, gegenüber einem anderen Personenkreis benachteiligt. Eine Schlechterstellung liegt hingegen nicht vor, wenn die Regelung oder Maßnahme keine unterschiedliche Behandlung verschiedener Personengruppen vorsieht.
Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 12.10.2004 - C-313/02 -Wippel, Slg. 2004, S. I-09483, Rdnrn. 43 ff., sowie die zugehörigen Schlussanträge der Generalanwältin vom 18.5.2004, Slg. 2004, S. I-09483, Rdnrn.72 ff.; vgl. hingegen zu differenzierenden Regelungen bzw. Vereinbarungen: EuGH, Urteile vom 14.12.1995, - C-317/93 - Nolte, Slg. 1995, S. I-04625, vom 14.9.1999 - C-249/97 - Gruber, Slg. 1999, S. I-05295 vom 21.10.1999 - C-333/97 - Lewen, Slg. 1999, S. I-07243; und vom 23.10.2003 - C-4/02 - Becker, Slg. 2003, S. I-12575.
Eine Ungleichbehandlung in diesem Sinn ist hier nicht festzustellen. Die in Rede stehende Regelung des § 7 FHVOPol nimmt bei der Gewährung von Leistungen in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen mit Blick auf die hier streitgegenständlichen Mutter-Kind-Maßnahmen keine relevante Differenzierung - weder nach geschlechtsspezifischen noch nach neutralen Kriterien - vor. Leistungen in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen stehen - vorausgesetzt sie können wesentlich zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Polizeidienstfähigkeit beitragen - allen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten gleichermaßen ohne Unterschied zu. Ebenso wird keine Differenzierung hinsichtlich weiterer Familienangehöriger getroffen. Diese sind weder aufgrund eigener Rehabilitationsbedürftigkeit noch als Begleitperson der anspruchsberechtigten Polizeivollzugsbeamtin beziehungsweise des anspruchsberechtigten Polizeivollzugsbeamten in die Leistungsgewährung einbezogen (vgl. § 1 FHVOPol).
Über diese normativ und formal gleiche Behandlung hinausgehend begehrt die Klägerin zusätzliche, vom Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht vorgesehene Leistungen zur Beseitigung beziehungsweise Verringerung in der sozialen Wirklichkeit bestehender faktischer Ungleichheiten, die letztlich auf mangelnden Möglichkeiten der Kinderbetreuung beruhen. Solche tatsächlichen Nachteile können jedoch mit dem Diskriminierungsverbot in Bezug auf das Geschlecht nicht aufgefangen werden.
Zum Ausschluss einer im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmerin von der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation, die ausschließlich an das Bestehen eines aktiven Beschäftigungsverhältnisses anknüpft, vgl. EuGH, Urteil vom 21.10.1999, a.a.O., Rdnrn. 35 ff. Ausdrücklich zu Benachteiligungen, die sich wegen der mangelnden Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinsichtungen ergeben: Langenfeld, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Loseblatt, Stand Juni 2006, Art. 141 EGV, Rdnr. 23.
Den zweifellos nach wie vor bestehenden faktischen Ungleichheiten kann zwar zur Effektuierung der Gleichstellung gegebenenfalls durch zusätzliche kompensatorische Maßnahmen entgegengetreten werden. Sowohl Art. 141 Abs. 4 EGV als auch die Richtlinie 76/207/EWG vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen lassen Maßnahmen im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben - etwa durch spezifische Vergünstigungen - zu. Ein Anspruch auf eine bestimmte Leistung lässt sich daraus jedoch nicht herleiten.
Vgl. dazu auch EuGH, Urteile vom 19.3.2002 - C-476/99 - Lommers, Slg. 2002, S. I-02891, Rdnrn. 32 ff., und vom 30.9.2004 - C-319/03 - Briheche, Slg. 2004 Seite I-08807, Rdnrn. 21 ff.
Soweit sich die Klägerin des Weiteren auf die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht beruft, hat sie nicht hinreichend dargelegt, dass das VG zu Unrecht keine Verletzung dieser Pflicht "in ihrem Wesenskern" angenommen hat.
Ende der Entscheidung
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